Die Zeiten, in denen die tägliche Anwesenheit im Büro als selbstverständlich galt, sind in der Schweizer IT-Branche endgültig vorbei. Die Pandemie wirkte als Katalysator, doch was als Notlösung begann, hat sich zu einem der wichtigsten Argumente im "War for Talents" entwickelt. Im Herbst 2025 ist Flexibilität keine nette Geste mehr, sondern eine Grundvoraussetzung, um hochqualifizierte IT-Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Doch was bedeutet "flexibel" heute konkret?
Der Standard: Hybrid ist das neue Normal
Reine 100%-Remote-Jobs sind in der Schweiz nach wie vor die Ausnahme. Die grosse Mehrheit der IT-Unternehmen hat sich auf Hybridmodelle geeinigt, die die Vorteile von Heimarbeit und Büropräsenz kombinieren. Die Umsetzung variiert jedoch stark.
Das strukturierte Modell (oft bei Grosskonzernen): Viele Banken, Versicherungen und grosse Industrieunternehmen setzen auf klare Regeln. Typisch ist eine 40/60- oder 60/40-Regelung, bei der die Mitarbeitenden zwei bis drei feste Tage pro Woche im Büro sind. Dies erleichtert die Planung von Team-Meetings und fördert eine vorhersehbare Routine.
Das flexible Modell (bei KMU und Tech-Firmen): Hier herrscht oft mehr Autonomie. Die Teams oder die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wann sie ins Büro kommen. Oft gibt es eine prozentuale Richtlinie (z.B. "ca. 50% Anwesenheit im Monat"), aber die konkrete Umsetzung ist flexibel und ergebnisorientiert. Das Büro wird zum Ort der Kollaboration und des sozialen Austauschs.
Das "Remote-First"-Modell (vor allem bei Startups): Diese Unternehmen sind vollständig auf Remote-Arbeit ausgerichtet. Die Prozesse sind digital, die Kommunikation asynchron. Physische Büros existieren oft nur noch als kleine "Hubs" für gelegentliche persönliche Treffen, Workshops oder Team-Events.
Mehr als nur Home-Office: Die neue Dimension der Flexibilität
Top-Arbeitgeber wissen, dass es längst nicht mehr nur um den Arbeitsort geht. Um sich im Wettbewerb um die besten Talente abzuheben, werden zusätzliche Freiheiten geboten, die eine echte Work-Life-Integration ermöglichen.
Hochflexible Arbeitszeiten (Gleitzeit 2.0): Die klassische Blockzeit verliert an Bedeutung. Viele Unternehmen setzen auf volles Vertrauen und ermöglichen es den Mitarbeitenden, ihre Arbeitszeit frei um private Termine oder familiäre Verpflichtungen herum zu planen, solange die Ergebnisse stimmen und die Erreichbarkeit im Team gewährleistet ist.
"Workations": Die Möglichkeit, für einige Wochen pro Jahr aus dem Ausland zu arbeiten, wird immer populärer. Meist ist dies auf EU/EFTA-Länder beschränkt, um steuerliche und rechtliche Komplikationen zu minimieren. Ein bis zwei Monate "Workation" pro Jahr sind in fortschrittlichen Tech-Unternehmen keine Seltenheit mehr.
Komprimierte Arbeitswoche: Immer mehr Unternehmen experimentieren mit Modellen, bei denen die 40-Stunden-Woche auf vier oder viereinhalb Tage verteilt wird. Dies ermöglicht ein langes Wochenende und wird als grosser Benefit wahrgenommen.
Teilzeit-Führung: Die Akzeptanz für Führungspositionen im 80%- oder 90%-Pensum ist deutlich gestiegen. Dies ist ein entscheidender Faktor, um erfahrene Fachkräfte mit Familie im Unternehmen zu halten oder für eine Führungslaufbahn zu gewinnen.
Warum Flexibilität kein "Nice-to-have" mehr ist
Für IT-Fachkräfte in der Schweiz hat sich die Macht am Verhandlungstisch verschoben. Bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers ist die gebotene Flexibilität oft genauso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – als das Gehalt.
Grösserer Talentpool: Unternehmen, die flexible Modelle anbieten, können landesweit rekrutieren und sind nicht mehr auf den Grossraum Zürich, Bern oder Genf beschränkt.
Mitarbeiterbindung: Wer Freiheiten und Vertrauen erhält, ist zufriedener, loyaler und produktiver. Eine starre Präsenzkultur ist heute einer der häufigsten Kündigungsgründe für IT-Spezialisten.
Attraktivität: Auf Job-Plattformen und Bewertungsportalen ist Flexibilität ein Top-Thema. Unternehmen ohne modernes Arbeitsmodell verlieren schnell an Ansehen und Bewerbern.
Fazit: Vertrauen ist die neue Währung
Die Schweizer IT-Landschaft hat sich nachhaltig verändert. Die Zukunft gehört den Unternehmen, deren Kultur auf Vertrauen, Eigenverantwortung und Ergebnissen basiert – nicht auf der Kontrolle von Anwesenheitszeiten. Für IT-Professionals bedeutet dies eine nie dagewesene Freiheit, ihre Arbeit so zu gestalten, dass sie zu ihrem Leben passt. Wer heute einen Job in der IT sucht, sollte seine Erwartungen an Flexibilität selbstbewusst formulieren, denn die Chancen stehen gut, dass sie erfüllt werden.